Premiere von Benjamin Brittens „PETER GRIMES“ – eine Dortmunder Opernhaus-Sternstunde!

Massimo Buonerba, Peter Marsh (Peter Grimes)©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH
Massimo Buonerba, Peter Marsh (Peter Grimes)©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH

(Besuchte Premiere am 9.4.2016) Immer wieder sinniert der langjährig begeisterte Opernfan darüber nach, welche Aufführungen wohl die im besten Sinne bemerkenswertesten  in fast 40 Jahren als Theaterbesucher waren. Seit gestern Abend gehört für mich der Dortmunder PETER GRIMES dazu. Die szenische Umsetzung von Benjamin Brittens faszinierend-genialer Oper war am gestrigen Premierenabend mindestens ebenso bestechend wie die musikalische. Ungeteilte und völlig verdiente Zustimmung für die Regie von Tilmann Knabe und frenetischer Jubel für Solisten, Chor, die Dortmunder Philharmoniker und den musikalischen Leiter des Abends,  GMD Gabriel Feltz. 

Benjamin Brittens Oper PETER GRIMES, 1945 im Londoner Sadler’s Wells Theatre uraufgeführt, gehört zweifelsohne zu den ganz großen Kompositionen des 20. Jahrhunderts. Brittens musikalische Sprache in dieser Oper ist stark inspiriert durch seine ostenglischen Wurzeln. Der in der Küstenstadt Lowestoft in der Grafschaft Sussex geborene Benjamin Britten weiss durch seine Komposition die Rauigkeit der Natur, und vielleicht auch der dort lebenden Menschen, spürbar zu vermitteln und in Töne umzusetzen. Und auch die musikalische Zeichnung seiner Protagonisten ist es immer wieder, die die Faszination PETER GRIMES ausmacht. Und deshalb schon an dieser Stelle ein großes Kompliment an den musikalischen Leiter des Abends, GMD Gabriel Feltz, der diese großartige Komposition spür- und erlebbar dem begeisterten Publikum im gut besuchten Haus vermittelte.

Emily Newton (ellen Orford), Peter Marsh (Peter Grimes) ©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH
Emily Newton (ellen Orford), Peter Marsh (Peter Grimes)
©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH

Regisseur Tilman Knabe ist in der Opernszene mittlerweile eine bekannte Größe. Bekannt dafür, auch politisch und gesellschaftskritisch an eine Inszenierung heranzugehen, war die Spannung auf seinen PETER GRIMES natürlich entsprechend groß.

Um es vorweg zu nehmen: Diese Operninszenierung gehört zum Besten, was es in der Oper Dortmund in den letzten Jahren zu sehen gab! Sie war mutig, sie war fordernd, sie war spannend, lebhaft, mehrdeutig, intim und sie war vor allem eines: offen menschlich, auch ins abgründige der menschlichen Seele.  Immer wieder zeigt Knabe die Verletzlichkeit und die auch später einsetzende Verletztheit der Menschen in Brittens Oper auf. Ist dabei von teils schonungsloser Offenheit, auch im beherrschenden Thema seiner Inszenierung, dem Umgang mit Pädophilie und des pädophilen Straftäters, der Grimes wurde. In starker Bildersprache lässt Regisseur Knabe die Zuschauer Einblick in die sexualisierte und zutiefst zerrissene Gefühlslage des an Knaben interessierten Peter Grimes nehmen.  Einem Grimes, der sich scheinbar eine Ehe mit der verwitweten Dorflehrerin Ellen Orford herbeiwünscht, wohl wissend, dass dies nicht mehr als nur eine Alibibeziehung sein kann.

Und dazu mit einer ihn liebenden Frau, die aus ihrer eigenen Schwäche heraus gerade diesen Mann liebt,  ahnend, den Mann Peter Grimes tatsächlich aber nie erreichen zu können.  In Benjamin Brittens Oper, die auf dem Gedicht The Borough von George Crabbe basiert, (Libretto von Montagu Slater), ist Grimes ein Sonderling, den seine Dorfmitbewohner stets argwöhnisch beobachten. So beginnt die Oper mit einer Gerichtsszene, in welcher Grimes der Tod seines Lehrjungen zur Last gelegt wird. Aber nicht bewiesen werden kann. Ihm wird aber auferlegt, nicht wieder einen Knaben als Lehrjungen einzustellen. Es soll dann ein Geselle sein. Aber Grimes besteht auf einen neuen Lehrling. Der Apotheker Ned Keene ist es, der ihm wieder -gegen Honorar- einen Knaben aus dem Waisenhaus (gespielt von Erik Albrecht)  vermittelt und Ellen Orford erklärt sich als einzige bereit, den Jungen zu Grimes zu bringen. Sie steht damit allein in der Dorfgemeinschaft, die allesamt Grimes schon längst zum pädophilen Außenseiter erklärt haben.

Peter Marsh (Peter Grimes) ©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH
Peter Marsh (Peter Grimes) ©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH

In Tilman Knabes Inszenierung (Eindringliches und starkes Bühnenbild von Annika Haller und dazu absolut adäquate Kostüme von Eva-Mareike Uhlig) wird Peter Grimes im letzten Akt mit blutverschmiertem Gesicht und Händen in einer emotional starken Szene den geschundenen, blutenden und toten Körper des Jungen mit Klebeband in Bettwäsche umwickeln. Er säubert notdürftig mit dem von Ellen Orford gestickten Pullover des Knaben John den Tatort, packt auf die Schnelle weiter für ihn belastendes Material in einen Müllsack, schultert den Leichnam des Jungen und verlässt durch die Hintertür sein Haus. Von vorn naht der Dorfmob mit Fackeln seinem Haus. Wollen ihn stellen, ahnend, dass Grimes dem Jungen was angetan haben könnte. Doch sie erreichen eine menschenleere Hütte. Den Fischer Grimes finden sie nicht mehr vor. Der Täter Grimes ist mit seinem Opfer auf der Flucht. Letztlich auf einer hoffnungslosen Flucht vor sich selbst und seiner Veranlagung.

Was dann folgt, erklärt auch, weshalb die beiden Logenränge der Oper Dortmund frei bleiben und nicht in den Verkauf geraten. So viel sei verraten: das Finale der Oper PETER GRIMES ist von einer solchen inszenatorischen Größe und Dramatik und  musikalischer Wucht, die sich kein Opernfan entgehen lassen sollte. Chor und Solisten aus der Höhe der Ränge, das Orchester in seinem Graben, Peter Grimes allein auf der Bühne. Und am Ende nur noch Geschrei der Möwen. Großartig! Gänsehaut!  Wahrlich eine  Sternstunde der Oper Dortmund!

Peter Marsh - Schlußapplaus / Foto@ Dr. Barbara Volkwein
Peter Marsh – Schlußapplaus / Foto@ Dr. Barbara Volkwein

Mit Peter Marsh hat die Oper Dortmund einen   absoluten Glücksgriff getan. Der Gast von der Oper Frankfurt gab als Peter Grimes alles. Darstellerisch höchst überzeugend und intensiv spielend meisterte er diese schwierige Tenorpartie in bewundernswerter Manier.  Mit seinem klaren und kräftigen Tenor überzeugte Marsh von Anbeginn der Aufführung. Und diese Stimme trägt auch die zarten, introvertierten Momente des Peter Grimes.  Nach einem Moment der Stille am Ende der Oper stand Peter Marsch zu Recht im Zentrum des Publikumsjubels.

Emily Newton sang und spielte die Rolle der unglücklichen Ellen Orford mit einer solchen Intensität und Hingabe, wie es nur eine Sängerin in der Lage ist, die 3 Jahre zuvor an gleicher Stelle die europäische Uraufführung der Turnage-Oper ANNA NICOLE als Titelheldin so imposant prägte. Damals, wie auch in der gestrigen Peter Grimes-Premiere, konnte die gebürtige Texanerin das Dortmunder Publikum höchst eindrucksvoll überzeugen und gewinnen. Die vielseitige Sopranistin ist mittlerweile eine feste Größe im Ensemble der Oper Dortmund geworden.  Darstellerisch wieder absolut top, war sie auch gesanglich von erste Güte. Ganz besonders berührend ihr Gesang und ihr Spiel in der großartigen „Embroidery Aria“ im letzten Akt. Bravo für diese Leistung! In solchen Partien will sie das Publikum auch weiterhin in Dortmund erleben dürfen.

Sangmin Lee als Kapitän Balstrode war wieder einmal von besonderer Klasse. Der vielseitige und sehr talentierte Bariton konnte auch in dieser Rolle absolut punkten und das Publikum wieder einmal restlos überzeugen. Ein großer Künstler.

Judith Christ und Martina Dike als Wirtin Auntie und als Witwe Sedley verliehen ihren jeweiligen Partien großes individuelles Profil , welches auch gesanglich sehr überzeugend war.

Ashley Thouret (Zweite Nichte), Tamara Weimerich (Erste Nichte) ©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH
Ashley Thouret (Zweite Nichte), Tamara Weimerich (Erste Nichte) ©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH

Mit Tamara Weimerich und Ashley Thouret standen zwei reizend anzusehende „Nichten“ der Wirtin Auntie auf der Bühne, die neben dem für diese Rollen wohl erforderlichen Sexappeal auch, und besonders, gesanglich zu überzeugen wussten. Gerade in den Massenszenen der Oper wurde dies deutlich hörbar. Beide sind das, was allgemein als Luxusbesetzung für kleinere Partien bezeichnet wird.

Als das, also als Luxusbesetzung, dürfen auch Morgan Moody , Fritz Steinbacher und Karl-Heinz Lehner bezeichnet werden. Als Apotheker Ned Keene war Morgan Moody einfach großartig und in seinem Element. Und als Bob Boles stand Fritz Steinbacher seinem Kollegen Moody in nichts nach. Ganz hervorragend auch der Bürgermeister Swallow von Karl-Heinz Lehner. Klasse Leistung von allen dreien!

Morgan Moody (Ned Keene) ©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH
Morgan Moody (Ned Keene)
©Thomas M. Jauk / Stage Picture GmbH

In den kleineren Rollen auch durchweg dem Gesamteindruck entsprechend hohe Qualität: Ks. Hannes Brock als Pfarrer Adams ebenso wie Thomas Günzler als Fuhrmann Hobson.

Ein besonders großes Bravo an Chor und Extrachor der Oper Dortmund unter der Leitung von Manuel Pujol. Geht es überhaupt noch besser? Wohl kaum! Daher auch nicht viele Worte.

Und auch wieder ein Kompliment an die Statisterie der Oper Dortmund. Was wären Aufführungen ohne die Damen und Herren Statisten?

GMD Gabriel Feltz und seine Dortmunder Philharmoniker sind bereits zu Beginn überaus lobend genannt worden. Abschließend aber auch hier noch einmal.

Fazit: Große Oper und große Emotionen in der Oper Dortmund. Eine Opernregie, die den Namen völlig zu recht verdient und eine musikalische Gesamtleistung von Solisten, Chor, Orchester und Dirigenten die überragend war. Sternstunde trifft es, will ich meinen Eindruck von dieser Opernpremiere in nur einem Wort beschreiben. Absolute Empfehlung von DAS OPERNMAGAZIN!

*Zusammen mit meinen Opernfreunden und Kollegen von DER OPERNFREUND, Peter Bilsing und Sigi Brockmann,  verleihen wir dieser herausragenden Opernproduktion den selten vergebenen OPERNFREUND (OF-) -STERN!

Weitere Infos und Kartenvorverkauf unter diesem Link .

Detlef Obens/2016

 

 

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